This site will look much better in a browser that supports web standards, but it is accessible to any browser or Internet device.



AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus "Halalí"  (Zweiter Band)

Auszug aus dem Kapitel NORBERT VON HELLINGRATH

… Die populäre Theorie, Friedrich Hölderlin (1770-1843) sei geisteskrank gewesen, kam 1806 und 1807 auf, als er Mitte dreißig war.

Sie dürfte primär entstanden sein, als seine Lyrik sich immer mehr einem rationalen Zugang entzog. Das war da noch neu. Keine Literatur verweigerte sich damals den Gesetzen von Logik und Syntax. Hölderlins Verse taten das ein gutes Jahrhundert zu früh. Seine Leser verwahrten sich dagegen durch solche Diagnose einer Geisteskrankheit.

Abgestützt wurde sie sicher durch die Besonderheiten eines hochgradig musischen Charakters. Das war in seinem Falle das Zusammenspiel von extremer Sensibilität, auch Empfindlichkeit, mit Introversion, radikaler Verschlossenheit, Geheimniskrämerei, latenter Homo-Erotik und Depressionen, mit Ehrgeiz, Nonkonformismus, Egozentrik und einer jähen Cholerik, die wohl genetisches Erbe war.

Das alles zusammen mag um 1800, gar in süddeutschen Kleinstädten so exotisch und abnorm erschienen sein, daß es verdächtigt und gemieden wurde.

Hieraus ergab sich dann jener ganze Katalog von Enttäuschungen, die über Erfolglosigkeit aller Art zu Verheimlichungen und Isolationen führten: schon alles das eher "nicht normal".

Portrait: Friedrich Hölderlin

Friedrich Hölderlin
(Zeitgenössische Zeichnung
von Johann Georg Schreiner, 1826)

Akute politische Gefährdungen lösten zudem im feudal-absolutistischen Württemberg extreme Ängste dieser labilen Psyche vor der Bezichtigung eines "Hochverrats" aus und veranlaßten Isaak von Sinclair, seinen politisch noch bedrohteren Intimus und Homburger Wohngenossen, ihn lieber in die Nürtinger Unauffälligkeit im Hause seiner Mutter zu evakuïeren.

Die Mutter, zu der sein Verhältnis lebenslang gestört war, hat dann wohl als Erste von Irrsinn gesprochen. Denn schon damals galt für verrückt, wer sich so unangepaßt verhielt wie ihr Sohn, für dessen Poesie sie aber keinerlei Interesse zeigte. Verständnislos und gewaltsam ließ sie ihn daher ohne persönliche Wiederbegegnung direkt aus Homburg in die geschlossene Psychiatrie nach Tübingen deportieren: ins Irrenhaus.

In jenem neu etablierten Autenriethschen Klinikum scheint Hölderlin der erste psychiatrische Patient und entsprechender Unerfahrenheit ausgeliefert gewesen zu sein. Er wurde geschlagen, in eine Zwangsjacke gesteckt, besonders brutal geknebelt und mit Pharmaka abwechselnd beruhigt und stimuliert: täglich "sechs Gran Belladonna-Blätter, zwei Gran Digitalis-Blätter mit zwei Unzen Anis-Kamillen-Wasser", außerdem Aloë, "Kantharid mit Quecksilber", "Opium, mit Zucker versetzt" und "tartrisches Vitriolat mit Zucker und Anis-Kamillen-Wasser".

Er soll das alles sieben Monate lang reaktionslos hingenommen, eingenommen und seinen Zustand dadurch nur verschlimmert haben.

Aber der schwäbische Dichter Justinus Kerner, als zwanzigjähriger Medizinstudent damals beruflich mit dem Patiënten Hölderlin befaßt, hat dessen "Wahnsinn" später als "ganz harmloser Natur" offenbart.

Wohl eben daher wurde Hölderlin in dieser Psychiatrie nicht einbehalten, sondern nach besagten sieben Monaten dem Tübinger Tischlermeister Ernst Zimmer übergeben, in dessen Turmzimmer er dann 36 Jahre lang Untermieter, Kostgänger und Pflegefall war, aber freiën Ausgang hatte: von 1807 bis 1843.

Dort war er zunehmend ein freundlicher, gutartig argloser Hausgenosse, dessen Geist für Dr. Adolf Louis Koch, häufigen Gast etwa 1825/26 und später immerhin Chefarzt der Irrenanstalt Laichingen, zwar "umnachtet für hier" war, "wie es die Menschen nennen, vielleicht aber deshalb nur oft abwesend erscheinen mußte, weil er vorauseilen durfte von Zeit zu Zeit in das Land des Schauens".

Damit verwies dieser psychiatrische Experte und Zeitgenosse bereits auf Dimensionen, die man damals wie heute sonst eher aus Platons "Phaidros" bezog und dort als sokratisch im 22. Abschnitt über "Drei Arten göttlichen Wahnsinns als Urheber größter Güter" nachlesen kann.

Dort schildert Sokrátes, wie schon "die Prophetin zu Delphi und die Priesterinnen zu Dodone im Wahnsinn vieles Gute" vorausgesehen und bewirkt, "bei Verstande aber Kümmerliches oder gar nicht";

auch "von Krankheiten und schwersten Plagen" habe ein prophetischer Wahnsinn Heilung und Rettung zu bringen vermocht;

aber "die dritte Eingeistung und Wahnsinnigkeit" komme"von den Musen": denn "wer ohne diesen Wahnsinn der Musen in den Vorhallen der Dichtung sich einfindet, meinend, er könne durch Kunst allein ein Dichter werden, ein solcher ist selbst uneingeweiht und seine, des Verständigen, Dichtung wird von der des Wahnsinnigen verdunkelt".

Vierhundert Jahre später ließ der Apostel Paulus seine Gemeinde in Korinth Verwandtes erfahren:

" ... wer mit Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott; denn niemand hört ihm zu, im Geist aber redet er die Geheimnisse".

Von alledem aber muß die sensitive Bettina Brentano berührt worden sein, als sie sich 1806 eine Woche lang von Hölderlins Busenfreund, dem hessischen Landespolitiker Isaak von Sinclair, Bericht erstatten ließ: "wobei einem die Idee, daß er wahnsinnig sei, ganz verschwinde". Noch 34 Jahre später, als der greise Hölderlin, vermeintlich geisteskrank, noch lebte, veröffentlichte sie, was sie im Briefwechsel mit Karoline von Günderode längst schon mitgeteilt haben wollte:

"Mir kommt dieser Wahnsinn so mild und groß vor".

Da nämlich hatte Sinclair ihr schon ausführlich berichtet, "was für ein Heiligtum in dem Mann steckt": denn "er hebt die Welt dahin, wo sie von Rechts wegen stehen sollte". Er gab ihr auch Hölderlins "Ödipus"-Übersetzung und sagte, "daß man die Sprache für Spuren von Verrücktheit erklärt; so wenig verstehen die Deutschen, was ihre Sprache Herrliches hat".

"Ach, Poesie!" ließ da die 55jährige hellsichtig hinzufügen: "Mir sind seine Sprüche wie Orakelsprüche, die er als der Priester des Gottes im Wahnsinn ausruft, und gewiß ist alles Weltleben ihm gegenüber wahnsinnig, denn es begreift ihn nicht. Wahnsinn, merk ich, nennt man das, was keinen Widerhall hat im Geist der andern ... ".

Daß Hölderlin keinen Widerhall hatte im Geist der andern, war ihm all die Jahre zuvor in der Tat ein Lebensschmerz gewesen: "Hier mag mich keine Seele" (17jährig), "Der Menschen Worte verstand ich nie" (25jährig), "Mein Jahrhundert ist mir Züchtigung" (26jährig), "Schämen sich denn die Menschen meiner so ganz?" und "Die Berühmten ... ließen mich stehn" (29jährig). Aber 31jährig vollends: "Sie können mich nicht brauchen".

Jetzt scheint das so sein eigener Wunsch und Wille geworden zu sein. Aus der Psychiatrie entlassen, lebte er im Turm als Eremit. Er lebte da "bewußt", begriff auch Friedrich Wolters, "in einer nur ihm gehörenden Sphäre des Geistes".

Solche Weltflucht ist zwar so alt, wie es religiöse Mystiker und Mönche oder das gibt, was die christlichen Kirchenväter des 3. und 4. Jahrhunderts als apotaxia empfahlen: als Rückzug aus der Welt.

Sie mögen es von den synkretistischen Gnostikern des 2. Jahrhunderts übernommen haben, deren Kernsatz lautete: "Ich bin zwar in der Welt, ich gehöre aber nicht zur Welt".

Das alles hieß, sein Heil nur in der Isolation zu suchen.

 

 

Copyright-Hinweis: Die Inhalte dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt. Eine private oder kommerzielle Verwendung dieser Inhalte (Bilder, Texte) erfordert eine ausdrückliche Genehmigung durch Moritz Pirol.