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AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus "Halalí"  (Zweiter Band)

Auszug aus dem Kapitel FRITZ LÖHNER-BEDA

 

… tatsächlich gab es Violinen in Buchenwald.

Es gab auch ein Streichorchester. Es bestand aus Häftlingen und mußte "zur Unterhaltung der SS" vor deren Verwaltungsgebäude meist Heimatlieder oder Operettenmelodieën aufspielen.

Diese Lagerkapelle war ein Steckenpferd des SS-Obersturmbannführers Arthur Rödl, eines "dicken Menschen mit aufgedunsenem Gesicht und bärig-tapsigen Bewegungen".

Häftling Nummer 996 (Walter Poller) hat diesen "Schutzhaftlagerführer" als "Träger des goldenen Parteiabzeichens und des Blutordens, Trunkenbold, Sadist, Mörder" beschrieben, "der viele, viele tausend wehrlose 'Schutzhäftlinge' brutalst zu Tode quälte".

Die Häftlinge Nummer 2.400 und 76.356 (Erich Fein und Karl Flanner) haben hinzugefügt:

"Er war der Typus eines Nationalsozialisten, verleugnete als Bayer nicht seinen Dialekt, befleißigte sich aber kurzer und abgehackter Kommandoreden, in denen er seinen 'Führer' kopierte, er war theatralisch im Auftreten bis zur Lächerlichkeit, scheute sich trotz seines hohen Dienstgrades nicht, gelegentlich an den einen oder andern Häftling selbst Hand anzulegen. Er hätte wohl die Welt in die Luft gesprengt, wenn ihm sein geliebter Führer den Befehl dazu erteilt hätte".

Diese "Bestie in Menschengestalt" hatte gleichwohl zwei "Marotten". Die eine waren "meistens kurze Ansprachen" beim täglichen Appell vor und nach der Arbeit, die aber unverständlich blieben; denn er "knödelte ein furchtbares, völlig zusammenhangloses Dialektdeutsch. [ ... ] Nur das Ende dieser Ansprachen war uns stets klar, denn das letzte Wort [ ... ] war immer 'Arschvull' ".

Seine andere Marotte war die Idee jener Lagerkapelle, die er schon 1938 ins Leben rief und "deren Hauptaufgabe es war, beim Ein- und Ausrücken der Häftlinge Märsche zu spielen, damit die endlos langen Kolonnen in gleichmäßigem Takt durchs Tor marschierten" . Anfangs waren es meist nur " 'Zigeuner' mit Gitarren und sogenannte Asoziale, die mit Mundharmonika musizierten. Später kamen eine Trommel, eine Posaune und zwei Trompeten hinzu. Alles mußte von den Häftlingen besorgt werden, und die SS gab ihnen keine Hilfe. Der Lagerführer sah die Kapelle nur als Verschwendung von Arbeitspotential und als 'Übel' an. Sie hatte zweimal täglich zu spielen, einmal zum Abmarschieren und dann zur Wiederkehr des Arbeitskommandos": möglichst "lustige Zigeunermärsche" .

Trotzdem mußten diese Musiker "tagsüber am Holzplatz oder in der Schreinerei arbeiten" und abends mit zerschundenen Händen ihre Instrumente beherrschen.

Aber 1940 "entschloß sich der SS-Hauptsturmführer Florstedt, eine ordentliche Blaskapelle zusammenzustellen, die mit allen erforderlichen Instrumenten ausgestattet werden solle. [ ... ] Die nun verstärkte Blaskapelle bestand aus 16 Musikanten, unter denen 12 Trompeten und 4 Posaunen waren, die alle von der Arbeit befreit waren.

Vormittags waren Proben der Bläser und nachmittags zwei- bis vierstündige Proben der Streicher. Auf diese Proben wurde bald von sämtlichen Blockführern Einfluß genommen, so daß nun alle möglichen Schlager in den Proben gespielt werden mußten. So wurde in den vier Stunden ein Schlager bis zu sechzehnmal wiederholt. Täglich wurden die unterernährten Musiker gezwungen, etwa 25 bis 30 Märsche [ ... ] am Tor zu spielen".

SS-Obersturmführer Gust ließ die Musizierenden zusätzlich Leibesübungen vollziehen und bis zu zweieinhalb Stunden lang "Hinlegen!" und "Aufstehen!" exerzieren.

"Nicht selten", berichten Fein und Flanner als Augen- und Ohrenzeugen, wurden auch die täglichen Prügelstrafen "unter Musikbegleitung" vollzogen:

"Wir waren [ ... ] Zeugen, wie Häftlinge ausgepeitscht wurden. Auf einen Bock niedergeschnallt, erhielten sie mit daumenstarken Ochsenziemern 25 Doppelschläge von besonders kräftigen SS-Männern über das Gesäß. Und dazu spielte die Musik sentimentale Lieder".

Im Frühjahr 1942 wurde der tschechische Häftling Vlastimil Louda zum Leiter dieser Lagerkapelle bestimmt, "wobei er bemüht war, die Kapelle zu vergrößern, um so viele Menschen wie möglich der 'kriegswichtigen' Produktion zu entziehen. So hatte die Blaskapelle bald 32 Musiker und das Streichorchester 84".

Schutzhaftlagerführer Rödl jedoch war es beim täglichen Appell über solche Orchestermusik hinaus "offenbar ein großes Vergnügen, sich von den Zehntausenden ein Ständchen bringen zu lassen". Ganz unverkennbar bevorzugte seine musische Ader den menschlichen Gesang.

"Gesungen werden mußte häufig während harter körperlicher Arbeit. Dadurch sollte das Arbeitstempo in konstantem Takt gehalten werden; nach Kriegsbeginn wurde die Drangsal [ ... ] durch Einführung des Laufschritts bei der Arbeit nebst Singen noch erhöht".

Eigens hierfür mußten die Häftlinge deutsche Marschlieder auswendig lernen. "Jeder mußte mitsingen, wenn er nicht bestraft werden wollte. So standen sie oft zwei Stunden ausgehungert und am Rande ihrer Kräfte auf dem Appellplatz und sangen die Lieder, die ihre Nationalität und Muttersprache diskriminierten, während die SS-Männer mit Knüppeln um die Blocks gingen".

Eugen Kogon (1903-1987), katholischer Publizist und Politologe, sechs Jahre lang Gefangener im Konzentrationslager Buchenwald, hat über jenes Kommando Fuhrkolonne berichtet, das aus "15 bis 20 Mann als Gespann eines schwer beladenen Wagens" bestand: "an Stelle von Pferden in Gurte gespannt, im Laufschritt vorwärtsgetrieben. Ein SS-Führer fährt mit dem Motorrad voraus, um das Lauftempo der Kolonne anzugeben, die außerdem singen muß! Die Lagerführer Plaul und Kampe hatten [ ... ] für ein solches Fuhrkommando den die SS begeisternden Ausdruck 'Singende Pferde' geprägt".

Bei der Ankunft neuër Häftlinge wurde der Gesang des Liedes "Alle Vögel sind schon da" mit dem Text des ahnungslosen Hymnenlieferanten Hoffmann von Fallersleben anberaumt. Auch beim "Strafsport" mußte von den Gefolterten gesungen werden.

Aber gesonderten Wert legte jener musische Rödl auf sein "Ständchen" beim abendlichen Appell:

"Die Lagerkapelle setzt ein, intoniert die Melodie 'Schlößchen im Walde', und bei der zweiten Wiederholung setzen die Zehntausende zu einem gewaltigen Massenchor ein. Drei-, viermal muß eingesetzt werden, ehe es klappt, und dann braust es orkanartig über den Platz [ ... ] mit einem Chorgesang, der wie die Posaunen des jüngsten Gerichtes in der Phantasie eines religiösen Menschen donnernd und tosend dröhnt.

Als der letzte Ton verklungen ist, gibt Rödl ein Zeichen [ ... ], und blockweise rücken die Häftlinge ab ins Barackenlager".

Für eigens abgesonderte Juden-Formationen hatte die SS bei einem Häftling, den der überlebende österreichische Journalist Dr. Gustav Herzog als "deutschen Asozialen" bezeichnete und "der sich damit Gunst zu erwerben und freizukaufen suchte", ein speziëlles Judenlied in Auftrag gegeben. Dieses Schmählied "mußte von allen Juden gelernt und auf dem Appellplatz gesungen werden. Dies war insbesondere der Fall, wenn 'besserer' Besuch angemeldet war".

Weil es aber selbst dem "mit Intelligenz nicht sehr gesegneten Schutzhaftlagerführer SS-Sturmbannführer Arthur Rödl" offenbar zu langweilig war, verkündete er eines Dezembertages 1938 "nach einer der täglichen Häftlingszählungen am Appellplatz durch den Lautsprecher: 'I wüll a Lagerlied hob'n. Wer ans macht, der kriagt zehn Mark' ".

Was ihm hiernach vorgelegt wurde, genügte seinen Ansprüchen nicht.

Also schrieb da schließlich Fritz Löhner-Beda sein "Buchenwald-Lied".

Er selbst hielt es später, wie der Überlebende Fritz Kleinmann als Ohrenzeuge noch 1993 in einem Rundfunk-Interview der ORF berichtet hat, für "das Schönste und Würdigste, was er je geschrieben habe" : es sei sein "erstes anständiges Lied".

Portrait: Fritz Löhner-Beda

Fritz Löhner-Beda (Foto: anonym, ca. 1925)

Als es "in kürzester Zeit" mit seinen drei Strophen und einem Kehrreim fertig war, gab er es auch dem mitgefangenen Landsmann Hermann Leopoldi zu lesen, mit dem er vor Jahr und Tag schon ihre heimatselig "sterbende Märchenstadt" Wien so erfolgreich besungen hatte und von dem Robert Dachs noch 1997 sagte: "Im Grunde kann sich kein Wiener die Wiener Musik ohne Hermann Leopoldi vorstellen".

Hermann Leopoldi (eigentlich Hersch Kohn: 1888-1959) hat später in den USA schriftlich festgehalten:

"Nach unserer Einlieferung ins KZ Buchenwald hatten wir bei dem befohlenen Singen vorerst nur Kinderlieder (Thüringer Kinderlieder z. B. 'Großmütterchen nickt') zur Verfügung. Da rülpste eines Tages der meist alkoholisierte Lagerkommandant (Rödl), der kaum einen ganzen Satz, sondern meist nur in abgehackten Bruchstücken sprach, den Auftrag hervor: 'Macht's ein eigenes Lagerlied! 10 Mark für's beste, aber was Zünftiges ... '

Dies war der Anlaß für Dr. Fritz Löhner (Beda) und mich, unser Buchenwaldlied zu schreiben. Es erhielt den Preis; das heißt, wie ich gleich hinzusetzen will, die 10 Mark wurden niemals an uns ausbezahlt".

Denn "daß sie Juden waren, wurde vertuscht" : ob zum Schutze des Liedes oder der Autoren, ist umstritten.

Das Lied "gefiel dem amtierenden Kapo der Poststelle, der sich daraufhin als Autor des Stückes ausgab".

Oder auch: "Also fand sich ein Kamerad aus dem Arbeitskommando Poststelle bereit, das Lied als seine eigene Schöpfung zu erklären, worauf die SS ihre Zustimmung gab",

"weil der damalige Kapo der Poststelle, ein BVer [ = Berufsverbrecher] und von Beruf Conferencier, über die nötigen Verbindungen bei der SS verfügte".

Jedenfalls: "Die beiden Österreicher wurden als eigentliche Autoren verschwiegen".

"Was mag in Beda-Löhner, der so viele Lieder- und Operettentexte für Lehár gedichtet hat, bei der Formung der drei Strophen für das Buchenwaldlied vorgegangen sein?", haben die Überlebenden Erich Fein und Karl Flanner noch 1987 einfühlsam gefragt: "Was dachte Hermann Leopoldi, der, statt Wiener Lieder und Kabarettmelodien zu komponieren, eine geeignete Notenfolge für das Lagerlied suchte? Beide fanden in genialer Weise das Richtige" und schrieben da also "ein Lied, das keiner vergessen wird, der je in Buchenwald gewesen ist".

Sogar dem Lagerführer Rödl gefiel es. Er erklärte es zum Lagerlied.

"Das Lied wurde blockweise einstudiert", hat Leopoldi später selbst erzählt, "und nach dem Kommando 'Legt die Platte auf!' mußte es von allen 24 000 Mann gesungen werden. So haben alle Kumpels es täglich zum Abmarsch zur Arbeit und nachher gesungen. Das Lied [ ... ] war im Grunde revolutionär, aber die benebelten Gehirne unserer Antreiber sind nie darauf gekommen."

Die es in erschöpftem Zustande singen mußten, vermutlich auch nicht oder erst allmählich.

"Das Buchenwaldlied", haben die Häftlinge Nr. 2.400 und 76.356 bezeugt, "mußte oft stundenlang bis zum Überdruß, am Appellplatz stehend, eingeübt werden",

und der Häftling Nr. 996 aus Block 39 hat bestätigt: "Oft mußten die Häftlinge zehn- und fünfzehnmal ansetzen, ehe der Massengesang einigermaßen klappte. Da Rödl dabei immer wieder in Wut kam und irgendeine blödsinnige Massen- oder Einzelbestrafung durchführte, organisierten wir Häftlinge die Sache so, daß nur die in der Nähe stehenden Blocks mit doppelter Vehemenz singen mußten, indes die entfernteren Blocks, zu denen der Schall erst Sekunden später gelangte, einfach nur die Lippen bewegten. Trotzdem klang der Massenchor immer noch wie ein wilder Orkan".

"Man kann sich denken, welch infernalisches Konzert auf dem Platz losging", hat der überlebende Stefan Heymann das gleich im Sommer 1945 der dortigen "Thüringer Volkszeitung" geschildert: "Als Rödl merkte, daß es auf diese Weise nicht ging, ließ er Strophe für Strophe [ ... ] immer wieder wiederholen. Erst nachdem das ganze Lager auf diese Weise vier Stunden in bitterster Kälte gestanden hatte, gab er den Befehl zum Abmarsch. Aber [ ... ] in Zehnerreihen ausgerichtet, mußte jeder Block am Tor bei Rödl und anderen besoffenen SS-Führern stramm vorbei marschieren und dabei das Buchenwald-Lied singen. Wehe dem Block, der nicht genau ausgerichtet vorbeikam oder bei dem das Singen noch nicht ganz nach Rödls Wunsch klappte! Er mußte unbarmherzig zurück und nochmals vorbeimarschieren".

Zu Weihachten 1938 (oder im Januar 1939) soll dieses Buchenwaldlied dann erstmals wunschgemäß und "mit Musikbegleitung" vom ganzen Lager auf dem Appellplatz oder auf dem Weg zur Arbeit gesungen worden sein …

 

 

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