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AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus "Liebesbrief an fremden König"

Kong

Kong arbeitet als Verkäufer in einem Textilgeschäft, das nicht eben übermäßig floriert. Also ist es dem Besitzer nur allzu recht, wenn dieser attraktive Mitarbeiter sich fast ausschließlich außerhalb des Ladens auf der Straße aufhält und seine Unlust am Kommerz durch Lust am Flirten und Flachsen mit jeglichem Passanten auf anreißerhafteste Weise kompensiert.

Wenn er nicht gerade zwischen den Auslagen auf der Erde liegt und einen Liebeskummer, seine Langeweile, schlechte Laune, diverse Räusche oder sonstige Frustrationen seiner jungen Unerfülltheit unstörbar und schamlos vor jedermann ausschläft, ist er der übermütigste, ausgelassenste, fantasievollste und verspielteste Straßenunterhalter, den zumindest die flanierenden Touristen je erlebt haben. Er pfeift ihnen nach oder schon entgegen, er persifliert sie mimisch und pantomimisch, kommentiert ihr exotisch empfundenes outfit mit pointierten Sottisen, all ihren befremdlichen Habitus mit komödiantischem Schabernack, der aber niemals verletzt, sondern sie alle zu jenem Lachen verführt, ohne das er selbst nicht leben mag.

"Ich bin schon 22", gesteht er einem solchen Passanten an der Angel seines Charmes, "aber ich sehe aus wie 19, und warum? Weil ich so viel lache. Lachen ist der einzige Sinn des Lebens, sonst hat es keinen."

Sagt das und lacht und ist süßer Fratz und altersloser Faun und frecher Engel in einem.TOP

Portrait: Mih

Mih (Foto: Nohng Noh)

Wenn es aber dennoch je ernst wird und so ein angeflirteter Tourist zum Kunden werden will, fühlt Kong sich, nach dem anfänglichen Vergnügen, sei es um wenige Pfennige zu feilschen, im Falle dauerhaft fortgesetzten Handelns allzubald nur noch gestört und trachtet, die lästige Verkaufsprozedur möglichst abzukürzen. Das erreicht er am schnellsten durch verblüffende Zugeständnisse beim rituellen Poker um den Rabatt.

"Was kostet das?"
"280 Baht."
"Überall sonst 250."
"Okay: 250."
"Und das hier?"
"150."
"Und für mich?"
"100."

Wer sich nach so überstürztem Nachlaß bis gleich zu einem Drittel des ganzen Preises noch zu weiterem Unterbieten und Tauziehen angestachelt fühlt, steht nur zu bald allein vor den Regalen. Denn in solchem Falle fängt Kong einfach an, vor sich hin zu tanzen und nach Partnern für diesen sehr viel lustigeren, weil sinnlicheren Zeitvertreib Ausschau zu halten. Der Kunde mag dann kaufen oder gehen oder mittanzen oder sonstwas: sein Verkäufer hat was besseres vor und ist weg. Einigen wenigen imponiert und gefällt das, weil in solcher Unlust am Konkurrenzkampf der Freien Marktwirtschaft noch die einzige Chance für dieses so ungierig angelegte Volk liegt, den tödlichen Umstrickungen des angreifenden Kapitalismus zu entgehen.TOP

Aber auch dieser Anti-Kaufmann Kong ist schon heillos infiziert und jammert notorisch über Geldnot. Sein ungebrochenes Selbstgefühl mag er trotz aller beruflichen Erfolglosigkeit einerseits aus seiner Schönheit beziehen, die er zu präsentieren weiß und die Männer wie Frauen gleichermaßen anlockt, wohl aber nicht zuletzt auch aus der stolzen Tatsache, daß er just in Ajutajah geboren und aufgewachsen ist, jenem nationalen Inbegriff kultureller Blüte und historischer Katastrophe.

So tragische Herkunft schmückt und stärkt eine zum Hökern gezwungene Seele wie eine Krone oberhalb allen Krämergeistes und mag zur unwiderstehlichen Anziehungskraft ihres Besitzers beitragen. Allzuoft jedenfalls ist dieser schöne Kong auch unansprechbar, weil er seitenlange Liebesbriefe in allen erdenklichen europäïschen Sprachen zu entziffern oder sich von neuen Verehrern übersetzen zu lassen versucht, und "broken heart" ist eine seiner meistbelachten Standardpantomimen, wenn ein weniger erwünschter Fan ihn nach seinem Ergehen befragt.

Portrait: Dailih

Dailih (Foto: Nohng Noh)

Dabei ist er pausenlos auf erotischer Suche und bereit, sich das Herz erneut brechen zu lassen. Aber von wem bloß? Also, bestimmt nicht von Thai-Frauen, deren geschlechtlich passive Fantasielosigkeit, auch Gleichgültigkeit er, auf offener Straße liegend, pantomimisch demonstriert, parodiert, mit Lacherfolg kritisiert. Über eine Empfehlung, solche Frauen in ihrer Unwissenheit aufzuklären und, ein so erfahrener Lehrer, zu unterrichten, feixt er nur lustlos und läßt indessen keine blonde Frau ohne freche Attacken sein Geschäft passieren.

Aber als sich ein vertrauter Dauerpassant, der jeden Flirt seit langem schlagfertig zu erwidern sehr lustig ist, zu spätabendlichem Plausch in Tuchfühlung auf seiner Bambusmatte zwischen all den Jesuslatschen der staubig verschwitzten Touristenfüße niederläßt, verrät ihm Kong, leicht verlegen, eigentlich doch nur Männer zu bevorzugen: wann er denn, sein Besuch, mal Zeit für ihn habe.TOP

Sie verabreden sich für denselben Abend in ihrer Standarddiskothek.

Als aber der Auserkorene sich dort mit europäïscher Pünktlichkeit einstellt, ist Kong zunächst gar nicht anwesend, zu sehr viel späterer Stunde dann unansprechbar und blicklos in eine üppige blonde Tanzpartnerin versunken.

Anderntags bittet er zwar förmlich um Entschuldigung: aber diese Frau sei eine unwiderstehliche Ausnahme gewesen. Auf bald, also.

Weitere Verabredungen scheitern zunächst an Kongs Unzuverlässigkeit oder Angst, dann aber auch an der Abreise des Hingehaltenen.

Als er im nächsten Jahr wiederkehrt, ist Kongs Textilgeschäft nicht mehr vorhanden. Am selben Platze ist er inzwischen Juniorchef und die magnetische Attraktion in der elegant florierenden Boutique einer doppelt so alten Dänin, mit der er auch verheiratet ist.TOP

Er ist jetzt proper und modisch gekleidet, hat ein entgiftetes, waches Gesicht, aber keine Zeit mehr für Flirts und Faxen, geschweige Rendezvous und ist nur noch auf Umsatz fixiert, um seine Europareise nach Kopenhagen, Odense und Århus baldmöglichst wiederholen zu können.

Portrait: Pra

Pra (Foto: Nohng Noh)

Seine Nächte verbringt er natürlich nicht mehr in Bars oder Diskotheken, sondern schlafend in ihrer beider Laden.

Aber seine Frau nächtigt gegenüber im ersten Stock.

Doch gegen Ende der Saison, als die touristische Kundschaft auszubleiben beginnt und inmitten all seiner unverkauften Preziosen der gelangweilte Kong seinen alten Spieltrieb wiederentdecken mag, steht er eines späten, ehelich unkontrolliert erachteten Abends wie in alten Zeiten überfallartig dicht und gut gelaunt vor dem wiedergekehrten Kandidaten seiner früheren Gunst, reicht ihm nunmehr auf europäïsche, dennoch altvertraut spielerische und kokette Weise die Hand und ist mit seinem provozierend übermütigen Gesicht nur hübscher denn je. Ein entsprechendes Kompliment scheint dem jungen Ehemann sehr willkommen. In ihrem festhaltenden Blickkontakt glimmen schüchtern und wissend all ihre ungelebte Zärtlichkeit und Gier.

Zaghaft lächelnd stellt Kong nach solcher Pause eine leicht verlegene, aber nicht ganz unprovokative Frage nach den Gründen für die Rückkehr des damals Abgeblitzten: er stellt sie überraschend und reizvoll fehlerhaft in dessen deutscher Muttersprache.

"Nanu", kann sich der Angepeilte da nicht verkneifen, "hast du jetzt auch noch eine deutsche Ehefrau?"

"Das nicht", ertönt in seinem Rücken die Stimme der geheirateten Dänin, "aber einen deutschen Geliebten."

Volltext der Erstfassung im Internet über www.libreka.de

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